Narbengesicht
indianisches Märchen aus Nordamerika
Quelle: Märchen der Welt, Indianermärchen aus Nordamerika; Fischerverlag; Autor; Frederik Hetmann
In frühester Zeit gab es kein Krieg. Bei allen Stämmen herrschte Frieden. Zu jener Zeit war da ein Mann und eine Frau die waren sehr angesehen, sie hatten eine wunderschöne Tochter, die sie pretty willow, schöne Weide nannten. Viele jungen Männer wollten sie heiraten, aber immer wenn sie "schöne Weide" fragten schüttelte sie den Kopf. Der Vater fragte,
"was hast du, weshalb willst du nicht heiraten?"Da antwortete schöne Weide:
"warum soll ich heiraten mir geht es gut, ich habe einen reichen guten Vater, unsere Vorratskammern sind nie leer, unser Tipi ist schön. Wir haben jede Menge gegerbte Häute und weiche Tierfelle für den Winter. Mir fehlt es an nichts."
Die jungen Männer aus der Sippe der Raben kamen vor das Zelt des Mädchens. Sie hatten schöne Kleidung an und waren geschmückt. Sie tanzten und warben um die schöne junge Frau. Aber sie wies sie zurück. So ging es auch den besten jungen Männern aus der Sippe der Büffel und der Füchse, die von weit her kamen.
Da wurde der Vater ärgerlich:
"die besten Männer unseres Stammes hast du abgelehnt, ich glaube du hast einen heimlichen Geliebten."
"Vater, antwortete "schöne Weide", ich werde dir die Wahrheit sagen. Sonne hat zu mir gesprochen und gesagt, heirate keinen Mann du gehörst mir. Er sagte auch, wenn ich ihm gehorche werde ich glücklich sein und lange leben."
"Wenn das so ist musst du dich daran halten,"sagte der Vater und sie sprachen nicht mehr über das Heiraten.
Auch Narbengesicht gefiel die junge Frau, doch er war arm, er hatte kein Zelt und keine Verwandten, die für ihn Häute gerbten und feine Mokassins nähten. Nach einem der großen Tänze kamen die jungen Männer an ihm vorbei. Sie ärgerten sich über die Absage von schöne Weide und verhöhnten Narbengesicht.
"Warum wirbst du nicht um das schöne Mädchen, wo du so reich und gut gewachsen bist?""Narbengesicht" lachte nicht, er sagte:
"Gut ich werde auf euren Rat hören und sie fragen ob sie meine Frau werden wolle."Die jungen Männer hielten das für einen guten Spaß. "Narbengesicht" ging aber hinunter zum Fluß und wartete dort an der Stelle wo die Frauen Wasser schöpften und nach einiger Zeit kam auch das schöne Mädchen. Er sagte:
"Schöne Weide, warte ich will mit dir sprechen, nicht wie einer der etwas im Schilde führt, sondern offen und frei hier wo die Sonne zuschauen und jeder es sehen kann."
"Sprich nur,"sagte sie.
"Ich habe dich die ganze Zeit beobachtet, wie du all die jungen Männer die reich und tapfer sind, abgewiesen hast. Ich bin arm, habe keine Verwandten, dennoch bitte ich dich, werde meine Frau."Das Mädchen verhüllte ihr Gesicht mit ihrem Umhang und scharrte mit den Mokassins im Sand, sie dachte nach. Nach einiger Zeit sagte sie,
"was du sagst stimmt und ich bin froh, dass du mich fragst, es macht mir nichts aus, dass du arm bist und keine Verwandten hast. Meine Verwandten werden uns Felle und Pelze geben und du wirst nicht länger arm sein."Da wollte er sie vor Freude und Glück umarmen, da hielt sie ihn zurück und sagte:
"Warte, ich muss dir sagen, Sonne hat mit mir gesprochen, er sagt ich gehöre ihm und darf nicht heiraten. Gehorche ich ihm werde ich ein glückliches und langes Leben führen. Geh zu Sonne, sag ihm, dass du mich heiraten willst. Und ist er einverstanden, so soll er dir die als Zeichen die Narbe auf deiner Wange wegnehmen. Und wenn er nicht einverstanden ist oder du ihn nicht findest, komm nicht wieder zurück."Da klagte Narbengesicht,
"deine Worte waren so zuversichtlich und jetzt ist alles dunkel, wie soll ich den Weg zu Sonne finden, niemand war bisher dort."
"Nur Mut,"antwortete das Mädchen und ging zurück in ihr Zelt.
Er war traurig, verhüllte seinen Kopf im Umhang und dachte nach. Dann stand er auf und ging zu der alten Frau, die ihn immer bei sich aufgenommen hatte. Sie sah, dass er Kummer hatte, er erzählte ihr, dass er einen weiten Weg gehen müsse und nicht wisse ob er wiederkäme. Sie fragte nicht nach, sie fühlte Mitleid und nähte dem Jungen nicht nur ein paar Mokassins sondern 7 Paar, und obendrauf gab sie ihm einen Beutel mit getrockneten Beeren, gedörrtem Fleisch und Fett aus dem Rücken eines Büffel.
Am nächsten Morgen zog er alleine den Hügel hinauf, warf einen letzten Blick zurück ins Lager und fragte sich, ob er seine Liebste, sein Volk wiedersehe? Er betete zur Sonne,
"habe Mitleid mit mir."Viele Tage wanderte er über weite Prärien, durch dichte Wälder, über Flüsse und Gebirge - und jeden Tag wurde das Essen knapper, obwohl er Beeren und Wurzeln sammelte und aß was er fand. Er war erschöpft und bat Sonne:
"du wanderst wie ich jeden Tag einen weiten Weg, von Morgens bis Abends, und ich bin dir keinen Schritt näher gekommen, bitte gib mir ein Zeichen wie ich dich finden kann."Eines Nachts traf er auf den Bau eines Wolfs,
"Hy Bruder, fragte der Wolf, was tust du ihr so fern von deinem Volk?"
"Ich suche den Ort wo Sonne wohnt, antwortete Narbengesicht, ich muß ihn etwas fragen".
"Ich bin schon viel herumgekommen, sagte der alte Wolf, auf den Prärien, in den Wäldern, aber Sonne habe ich nicht gesehen, nein." "Aber frag den Bären, vielleicht weiß der mehr, der schläft im Winter, vielleicht hat er Sonne in seinen Träumen gesehen?"Und so erreichte er die Höhle des Bären,
"warum bist du allein und so weit weg von deinem Volk,"fragte der.
"Ich muß wissen wo Sonne wohnt, ich habe ein Mädchen, das hat es mir aufgetragen,"antwortete "Narbengesicht".
"Ich bin schon viel herumgekommen, die Flüsse rauf und runter, kenne die Höhlen und Gänge, aber wo Sonne wohnt, nein. Frag doch den Dachs der ist schlau, er wohnt dort drüben."
Der Dachs saß in seinem Loch: Hy, Bruder, was machst du hier draussen ganz allein?"
"Ich suche Sonne, du bist doch schlau, weißt du wo er wohnt, ich muß ihn etwas fragen, wegen dem Mädchen aus meinem Stamm, das ich heiraten möchte."
"Er wohnt auf der anderen Seite des großen Wassers. Schlaf hier, ich bring dich morgen früh an das Ufer."Früh am Morgen zeigte der Dachs "Narbengesicht" den Weg und mittags als die Sonne hoch stand kam er an das große Wasser. Nie zuvor hat er ein so großes Wasser gesehen, er konnte nicht einmal an das andere Ufer sehen. Er war hungrig, der Proviantbeutel leer, die Mokassins zerschlissen, und sein Herz war krank. Er legte sich in den Sand, und dachte:
"ich kann nicht über das Wasser, ich kann nicht zurück zu meinem Volk".
Dann kamen zwei Schwäne, "Hey Bruder, sprachen sie was tust du hier so weit fort von deinem Volk?"
"Ich wollte zu Sonne, aber ich bin schwach, ich bleibe hier liegen und sterbe."
"Fasse Mut, wir werden dich auf unserem Rücken hinübertragen."Da fasste Narbengesichtwieder Mut, watete in das Wasser, und ließ sich von den Schwänen über das Meer tragen. Unter ihnen war das Meer tief und schwarz, seltsame Wesen wohnten dort, riesige Tiere, die die Menschen greifen und hinabziehen. Aber die Schwäne trugen ihn sicher an das andere Ufer.
Ein breiter heller Weg führte ins Land hinein.
"Folge diesem Weg Bruder, sprachen die Schwäne und du wirst Sonne begegnen."Wie er ging sah er wunderbare Dinge die auf dem Weg lagen, ein Hemd, ein Schild, Pfeil und Bogen, und feine Beinkleider, nie zuvor hatte er so schöne Kleidung gesehen. Er rührte nichts an, ging vorsichtig darum herum und lief weiter. Nach einer Weile traf er auf einen jungen Mann, er war der schönste Mensch, sein Gesicht leuchtete, seine Haare waren golden, er trug Kleider aus seltsamen Häuten, seine Mokassins waren mit Federn geschmückt. Dieser Mann sprach Narbengesicht an:
"Hast du die Kleider und Waffen auf dem Weg liegen sehen?"
"Ja"
"Warum hast du sie nicht angerührt?"
Sie gehören nicht mir, vielleicht hat sie jemand verloren."
"Ein Dieb bist du nicht, wie heißt du, wer bist du, so weit weg von deinem Volk."
"Ich bin "Narbengesicht" ich suche "Sonne", ich muß ihn etwas bitten."
"Ich bin, sagte der Mann "der Frühaufsteher", andere sagen auch "Morgenstern" zu mir. Mein Vater ist "Sonne", komm ich bring dich zu sein Zelt. Mein Vater ist jetzt nicht zuhause aber abends kommt er."Er führte ihn zu einem großen geräumigen Zelt, in der Mitte stand ein breiter Stuhl, ein Dreibein, überall lagen Waffen, sie waren geschmückt, Häute und Felle lagen dort, wie er vorher nie gesehen hatte. Narbengesicht schämte sich und wollte nicht eintreten. Roter Stern Sonnes Frau begrüßte ihn, gab ihm zu essen und versteckte ihn bis zur Ankunft von Sonne unter einem Bündel Häute.
Als Sonne heimkam blieb er stehen und sagte:"ich rieche etwas."
Da sagte Morgenstern: "ja Vater, ein junger Mann ist gekommen, er ist kein Dieb, höre ihn an."Narbengesicht kroch unter den Häuten hervor.
Schöne Weide hat mich zu dir geschickt, sie hat gesagt sie gehört dir und du hast ihr ein langes glückliches Leben versprochen, aber nun wollte ich dich fragen gibst du sie frei, wir wollen heiraten."
Da sprach Sonne "Sie ist klug, und tat gut daran zu gehorchen. Nun du kannst eine zeitlang hierbleiben, du kannst meinem Sohn bei der Arbeit und der Jagd helfen, er ist manchmal sehr einsam".Und so zogen Morgenstern und Narbengesicht jeden Morgen schon früh hinaus, oft waren sie schweigsam bei der Arbeit, dann wieder entspann sich ein langes Gespräch. Eines Tages begannen sie aus hunderten von langen Weidenstäben eine große runde Schwitzhütte zu bauen. Morgenstern sang dazu Lieder, die ihre Arbeit gelingen ließen. Narbengesicht empfand von Tag zu Tag mehr Liebe zu ihm, es war ihm so, als kenne er Morgenstern schon immer, sein Leben lang. Und er erzählte Morgenstern, wie sehr er seinen Vater vermisse, den er nie kennengelernt habe.
Da fragte ihn Morgenstern: "erinnerst du dich wie du als kleiner Junge immer unten am Fluß gespielt hast, da hat dich ein Mann besucht, er hat mit dir geredet, dir zu essen gegeben und mit dir kleine Hütten aus Stöckchen gebaut."
"Ja, sagte Narbengesicht, woher weißt du das, niemand wusste es, es war mein Geheimnis".
Dies wird nun zu meiner eigenen Version, und ist eine Fortsetzungsgeschichte des Märchens: Das Mädchen, das einen Stern heiraten wollte. |
Morgenstern hielt in der Arbeit inne und sah zu dem jungen Mann: "Ich habe dich besucht, du bist mein Sohn, ich wollte nicht, dass du so einsam bist."Narbengesicht war verwirrt, er schwieg, und dachte an die damaligen Besuche, während seine Hände weitertarbeiteten.
Als die Schwitzhütte fertiggestellt war, legten die beiden Männer ihre Kleider ab. Morgenstern brachte Kohle auf einem gabelförmigen Stock, sie war heiß und glühte, und wie er etwas Wasser darübergoß, saßen sie in heißem Dampf und schwitzten. Dann kam Sonne, er brachte süßes Gras und legte es auf die glühende Kohle, es verbreitete sich ein süßer Duft in der Hütte.
Und Sonne sang: "alter Mann kommt mit seinem Körper, er ist heilig."Sonne streckte seine Hände durch den Qualm und rieb Narbengesicht über den linken Arm, seine ganze linke Seite, und schließlich die linke Gesichtshälfte, das gleiche tat er mit der rechten Seite. Er reinigte Narbengesicht, so dass sein Körper glänzte und strahlte. Er strich ihm mit einer Feder über das Gesicht und über die Narbe. Die Haut wurde wieder glatt, die Narbe verschwand.
Sonne sagte: "Sage pretty willow, ich gebe sie frei."Eine letzte Berührung auf dem Kopf des jungen Mannes verwandete sein Haar in schimmerndes Gold, genau wie das Haar von Morgenstern.
Nach der Zeremonie, sagte Morgenstern: "geh zurück in dein Dorf,"und er gab ihm die schönen Kleider, Mokassins und Waffen, die er nicht angerührt hatte, als sie auf dem Weg gelegen waren. Dann führte er seinen Sohn zu dem Loch im Himmel, das vor vielen Jahren mit der Rübe von seiner Mutter herausgerissen wurde. Auch Spiders seidenes Seil hing noch herunter.
"Dies, sagte Morgenstern ist der kürzeste Weg zurück auf die Erde und zu deinem Volk."
So kam er zurück und blieb draussen vor dem Dorf auf einem Hügel sitzen. Bald verbreitete sich die Kunde, dass der arme Junge, den sie Narbengesicht nannten, zurückgekehrt sei. Er sei schön gekleidet, bewaffnet wie ein Häuptling, sein Haar sei golden und er strahle wie ein Stern. Da drängte das Volk sich um ihn, bestaunte und fragte ihn woher er gekommen sei.
Er antwortete: "Ich war bei Sonne und habe viel gelernt, was ich euch nun weitergeben kann."So nannten sie ihn von nun an; der, der zur Sonne ging. Auch schöne Weide war herbeigeeilt und umarmte ihn. Sie war glücklich sein Gesicht ohne Narbe zu sehen, jetzt wusste sie, Sonne hatte ihrer Heirat eingewilligt. Der, der zur Sonne ging zeigte seinem Volk wie man Schwitzhütten baut und sich reinigt, welche Lieder man dazu singt, wie man die Kohle hereinträgt und welches Gras süß duftet. Er heiratete schöne Weide und sie waren glücklich. Sie bekamen Kinder, die wuchsen heran und bekamen wieder Kinder. Und als eines Tages die Enkeltochter, die sie Morgenröte nannten, in das Zelt der Großeltern eintrat um diese zu begrüßen, waren beide zusammen für immer eingeschlafen.
Mich interessiert wie Ihr zu diesem Märchen denkt; meine email, ich bin neugierig wer meine Leser sind.
Ein Puppenspiel Narbengesicht mit der Ziffer 069 auf you tube, von den legendären Puppenspieler aus den 70er Jahren: Märchen aus aller Welt.