Das braune Pferd
indianisches Märchen der Pawnees
Quelle: Märchen der Welt, Indianermärchen aus Nordamerika; Fischerverlag; Autor; Frederik Hetmann
Vor vielen Jahren lebte in einem Pawneestamm eine alte Frau mit ihem Enkel, einem Jungen von etwa 15 Jahren. Die beiden hatten keine Verwandten und waren sehr arm. So arm waren sie, dass alle andere Familien des Stammes sie verachteten. Sie hatten keinen Besitz; und immer, wenn der Stamm aufbrach und von einem Lagerplatz zu einem anderen zog, blieben die beiden zurück, um sich in dem verlassenen Lager umzusehen und all das aufzulesen, was die anderen Indianer fortgeworfen hatten. So fanden sie manchmal ein Stück von einem Umhang, zerschlissene Mokassins, oder ein paar Brocken Fleisch.
Als eines Tages der Stamm wieder einmal weiterzog und die alte Frau und der Junge ganz hinten am Zug mitliefen, geschah es, daß ein mageres, verwahrlostes Pferd zu ihnen getrottet kam. Es war dünn, erschöpft, blind auf einem Auge, hatte einen wunden Rücken und die Gelenke seiner Vorderbeine waren angeschwollen. Das Pferd war wertlos und kein Pawnee fand es der Mühe wert es mit dem Zug fortzutreiben. Als es zu der alten Frau und dem Enkel gelaufen kam, sagte der Junge: "Komm, wir nehmen den Braunen mit, vielleicht kann er unser Bündel tragen."Die alte Frau legte ihr Bündel auf den Rücken des Pferdes, und sie liefen weiter. Das Pferd lahmte und sie kamen noch langsamer voran.
Der Stamm zog weiter nach den nördlichen Plate River hinauf zum Court House Rock. Die beiden armen Indianer folgten nach und kampierten bei den anderen.
Eines Tages kam der junge Mann, der ausgeschickt worden war um nach Büffel Ausschau zu halten, ins Lager gerannt und berichtete dem Häuptling: "ich habe eine große Herde gesehen, unter ihnen ist auch ein geflecktes Kalb."
Der oberste Häuptling der Pawnees hatte eine schöne Tochter und als er von dem gefleckten Kalb hörte, befahl er dem jungen Mann durch das Dorf zu laufen und auszurufen:"der Mann, der das gefleckten Kalbes als erstes erlege, erhalte meine Tochter zur Frau". Denn eine gefleckte Büffeldecke war selten und eine zauberkräftige Medizin.
Die Büffel weideten etwa 4 Meilen von den Zelten der Pawnees entfernt, und die Häuptlinge kamen überein, dass man die Herde mit einer Reiterattacke jagen wolle. So hatte der Reiter die besten Aussichten das Kalb als erster zu schießen, der das schnellste Pferd besaß. Also fanden sich die jungen Männer zur Jagd zusammen, jeder ausgerüstet mit seinem besten Pferd und Pfeil und Bogen. Unter ihnen war auch der arme Junge auf dem alten Braunen. Als die anderen ihn sahen, verhöhnten sie ihn:"seht nur da steht das Pferd, das bestimmt sieger wird". Solange verspotteten sie den Jungen bis er sich soweit von der Gruppe zurückzog, dass er ihre Späße nicht mehr hörte. Da wandte das Pferd seinen Kopf und sprach:"Bring mich hinunter zum ausgetrockneten Flußbett und beschmiere mich hanz mit Lehm. Vergiß auch meinen Hals und meine Beine nicht."Der Junge fürchtete sich vor dem Pferd was sprechen konnte, tat aber was es ihm aufgetragen hat.
Als nun alle schnellen Pferde in einer Reihe aufgestellt waren und ungeduldig tänzelten, gab der oberste Häuptling den Befehl zum Angriff.
"Loo-ah!" rief er."Los!"
Da beugten sich die Pawnee auf ihren Pferden vor, stiessen Freudenschreie aus und preschten voran. Da tauchte von rechts das elende braune Pferd auf. Es schien nicht schnell zu laufen. Es lief überhaupt nicht. Es flog dicht über den Boden. Es ging an allen anderen Pferden vorbei und war im nächsten Augenblick unter der Büffelherde. Der Junge zog Pfeil und Bogen und schoss das gefleckte Kalb zu. Er legte einen zweiten Pfeil auf, und tötete die fette Büffelkuh. Dann stieg der Junge ab, und ehe die anderen Jäger überhaupt herangekommen waren, zog er dem gefleckten Kalb das Fell ab. Als die Männer nun zu dem alten Braunen hinsahen, fanden sie es völlig verändert. Es schlug aus und wollte vor Kraft und Feuer kaum neben dem toten Büffel stehenbleiben. Der Rücken war wieder heil, die Fesseln kräftig und beide Augen klar und hell. Der arme Junge häutete auch noch die Kuh ab, packte dann alles Fleisch auf sein Pferd, deckte die Ladung mit der gefleckten Haut ab und führte das braune Pferd ins Lager zurück. Aber selbst jetzt, mit der schweren Last auf dem Rücken tänzelte das Pferd. Einer der reichen Häuptlingssöhne kam herangeritten und wollte handeln: "ich gebe dir 12 gute Pferde für das gefleckte Fell." Aber der Junge lachte: "ich denke nicht daran, die Haut zu tauschen." Während der Junge langsam zu Fuss ins Lager zurückging und das Pferd hinter sich führte, kamen die ersten Krieger ins Lager geritten. Sie liefen zu der alten Frau und erzählten ihr: "dein Enkel hat das gefleckte Kalb erlegt.". Die Alte antwortete: "Warum treibt ihr Scherze mit mir? Wir sind arm und können uns nicht wehren." Die Jäger sagten: "wir sprechen die Wahrheit." und ritten weiter.
Bald kam auch der Junge heran. Er führte das Pferd zu dem Zelt seiner Grossmutter. Es war eine kleines Zelt, gerade gross genug für 2 Leute, und es war aus Fellfetzen zusammengestückelt, die die alte Frau aufgelesen hatte. Es war das schlechteste Zelt im ganzen Lager. Als die alte Frau den Jungen sah, der das braune Pferd führte, auf dem viel Fleisch und die gefleckte Haut lagen, war sie sehr erstaunt. Der Junge sagte zu ihr: "Hier bringe ich dir viel Fleisch und hier ist auch ein Büffelfell, das schenke ich dir. Schaff das Fleisch ins Haus." Da lachte die alte Frau und ihr Herz wurde froh! Aber das Pferd liess die alte Frau nicht an sich heran und so musste der Junge das Fleisch in die Hütte schaffen.
In dieser Nacht sprach das Pferd wieder zu dem Jungen und sagte: "Morgen werden die Sioux mit einer grossen Streitmacht kommen, sie werden das Dorf angreifen und es wird eine grosse Schlacht geben. Wenn sich die Sioux in einer Reihe zum Kampf aufgestellt haben dann springe auf meinen Rücken und reite los, so schnell du kannst. Reite gegen die Mitte der Schlachtreihe an. Dort steht der oberste Häuptling der Sioux, schlag ihn mit deinem Kriegsbeil über den Schädel, töte ihn, dann reite zurück. Tu das 4 mal, schlag die 4 tapfersten Krieger der Sioux nieder, töte sie, aber dann lasse es genug sein. Denn wenn du ein 5. Mal anreitest wirst du getötet werden, oder du wirst mich verlieren. Denk daran, vergiss es nicht!" Der Knabe versprach es.
Am nächsten Tag kam alles so, wie es das Pferd vorhergesagt hatte. Die Sioux rückten an und stellten sich zu einer Reihe zum Kampf auf. Der Junge nahm Pfeil und Bogen, sprang auf das braune Pferd und ritt mitten unter sie. Als die Sioux nun sahen, das er versuchte, ihren obersten Häuptling zu töten, schossen sie alle ihre Pfeile gegen ihn ab. Die Pfeile flogen so dicht daher, das sich der Himmel verfinsterte, aber keiner traf den Jungen. Er tötete den Häuptling und ritt zurück. Noch 3 mal ritt er an, und jedesmal tötete er einen mächtigen Krieger der Sioux, ohne das ihm dabei ein Haar gekrümmt wurde.
Die Sioux und die Pawnee kämpften weiter, und der Junge stand da und sah der Schlacht zu. Schliesslich sagte er zu sich selbst: "Ich bin 4 mal geritten. Ich habe 4 Sioux getötet, ohne dabei verletzt zu werden. Warum soll ich es nicht noch einmal versuchen?"Er stieg also wieder auf sein braunes Pferd und ritt abermals an. Als er mitten unter den Sioux war, schoss ein Krieger ein Pfeil auf ihn ab. Das Geschoss traf sein Pferd am Vorderbein. Da stürzte das Tier tot zu Boden. Der Junge sprang ab, schlug sich durch die Reihen der Sioux-Krieger und rannte, zu den Pawnee zurück. Jetzt, als das Pferd tot war, sprachen die Sioux zueinander: „Dieses Pferd war tapfer wie ein Mann. Wir müssen seine Kraft zerstören!“ Und sie nahmen Messer und Äxte, zerteilten das braune Pferd und schnitten sein Fleisch in kleine Stücke.
Der Kampf zwischen den Pawnee und den Sioux dauerte den ganzen Tag, aber als es Nacht wurde, wichen die Sioux zurück und flohen. Der Junge war sehr betrübt, dass er sein Pferd verloren hatte, und als das Gefecht vorbei war, ging er zu der Stelle, wo der Kadaver des Pferdes lag, und sammelte alle Fleischstücke zusammen, dazu die Beine und die Hufe, und das alles schichtete er auf einen Haufen. Dann stieg er auf die Spitze eines Hügels in der Nähe, setzte sich, zog seinen Umhang über den Kopf und trauerte um sein Pferd.
Als er eine Weile gesessen hatte, hörte er einen grossen Sturm aufkommen, und der raste an ihm vorbei, und auf den Wind folgte der Regen. Der Junge sah hinab zu der Stelle, wo der Haufen mit dem Fleisch und den Knochen lag, und er konnte die Stelle durch den Regen hindurch ausmachen. Und es hörte auf zu regnen, aber sein Herz war ihm schwer, und er trauerte weiter.
Bald darauf kam abermals ein Sturm und danach Regen und als er wieder zu der Stelle blickte, wo er die Überreste des Pferdes aufgeschichtet hatte, schien es ihm, als fügten sie sich wieder zusammen und als würden sie Gestalt annehmen, und er dachte: "es sieht so aus, als liege dort ein Pferd, aber ich kann es nicht genau sehen, der Regen fällt zu dicht und schwer."
Danach kam ein dritter Sturm, und als der Junge nun hinübersah, glaubte er: da steht ein Pferd, und es kommt mir vor, als schlägt es mit dem Schweif. Der Junge hatte Angst. Er wollte fortlaufen, aber er blieb. Und wie er wartete, kam ein 4. Sturm, und jetzt war es ihm unheimlich:, "es ist mir als stünde dort hinter dem Vorhang aus Regen ein Pferd und ich höre es wiehern."
Als das Unwetter aufgehört hatte, lief der Junge rasch vom Hügel herab. Das braune Pferd kam ihm entgegen, und es sprach:"Du hast gesehen, wie alles gekommen ist. Lass dir das eine Lehre sein. Ti' Ra'- wa ist gnädig gewesen und hat mich noch einmal zu dir zurückkommen lassen. Aber von nun an halte dich immer an das, was ich dir sage. Tu nichts mehr und nichts weniger. Und jetzt führe mich hinter jenen grossen Hügel, lass mich über Nacht dort, und am Morgen komm mich holen." Der Junge tat, wie ihm geheissen.
Und als er am Morgen das Pferd holen kam, da fand er bei ihm einen Schimmel. Auch in dieser Nacht sagt das braune Pferd dem Jungen: "bring mich hinter den grossen Hügel und komm am nächsten Morgen wieder." Und als der Junge wiederkam, fand er einen schönen Rappen bei dem braunen Pferd. Und so ging es fort zehn Nächte lang. Es waren Pferde so schön, wie man noch nie zuvor welche unter den Tieren des Stammes gesehen hatte.
Jetzt war der arme Junge reich, er heiratete die schöne Tochter des Obersten Häuptlings, und als er älter wurde, trat er an die Stelle seines Schwiegervaters. Er sorgte immer gut für die alte Grossmutter und behielt sie in seiner Hütte, bis sie starb. Er hatte viele Kinder, und eines Tages, als sein ältester Sohn starb, wickelte er ihn in das Fell des gefleckten Kalbes und begrub ihn.
Das braune Pferd wurde nur an Festtagen geritten, wenn der Medizintanz aufgeführt wurde, aber es folgte dem Häuptling auf Schritt und Tritt. Viele Jahre lebte das Pferd im Lager. Dann war der Häuptling ein alter Mann. Er starb und mit ihm das braune Pferd !