Die Nixe im Teich
Es steht in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm ab der 5. Auflage von 1843 an Stelle 181 (KHM 181) und basiert auf einer Sammlung von Moriz Haupt aus Zittau/Oberlausitz aus dem Jahre 1841. Ludwig Bechstein übernahm es nach derselben Vorlage in sein Deutsches Märchenbuch als "Der Müller und die Nixe."
Das Märchen von der Nixe im Teich ist sprachlich sehr kunstfertig und im Detail ausgeführt, Zitat"... und erblickte ein schönes Weib, das sich langsam aus dem Wasser erhob, ihre langen Haare, die sie über den Schultern mit ihren zarten Händen gefasst hatte, flossen an beiden Seiten herab....", es ist nicht die einfache Sprache des Volksmärchens, wie z.B bei Fundevogel oder Rotkäppchen. Es ist für den Geschmack der spätromantischen Zeit in der Mitte des 19. Jahrhundets ausgeschmückt.
Geht man der Frage nach, aus welcher Zeit und woher ein Märchen stammt, findet man Berufe, Traditionen und Landschaften, die historisch und regional sind. Hier grenzt das Märchen an eine Sage. Das Märchen von der Nixe im Teich erzählt über einen Müller, einen Jäger, eine Schäfer, bzw eine Schäferin. Im landwirtschaftlich geprägten Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit waren große Mühlen geradezu ein Sinnbild eines gewissen ländlichen Wohlstands. Eine Mühle war ein Handels- und Umschlagplatz für die Region.
Das Märchen erzählt detailliert von Landschafts- und Naturräumen, wie flaches Land, Teiche, Weiden und Almwirtschaft selbst felsiges Gebirge wird beschrieben. Das Märchen stammt aus Oberlausitz, zusammen mit Niederlausitz gehört es zu Lausitz und ist eine Region im heutigen Deutschland (Sachsen und Brandenburg) und Polen (Niederschlesien. Lausitz kommt vom sorbischen Lužica und heißt soviel etwa wie „sumpfige, feuchte Wiesen“; Die Oberlausitz zeigt überwiegend Heideland und geht hoch ins Oberlausitzer Bergland, dem Zittauer und dem Jeschkengebirge. Daran schließt sich das Isergebirge (höchste Erhebung: Tafelfichte, 1124 m ü. NN) im heutigen Tschechien an.
Ähnlichkeiten gibt es zu einer anderen Nixe, die eine wichtige Rolle in der deutschen Literatur spielt, der Lorely, 1801 schrieb Clemens Brentano zum erstenmal über sie in der Ballade, "zu Bacharach am Rheine" über sie. Heinrich Heine verfasste 1824 das berühmte Gedicht "die Loreley". Angeregt aus der griechischen Sagenwelt, insbesondere "der Nymphe Echo", aus den "Metomorphosen des Ovid".Interpretation
Es ist ein Entwicklungs- und Reifungsmärchen über zwei Generationen, hier die vorangegangene Generation, der Müller und seine Frau, dort die nachfolgende, der Sohn und seine junge Frau.
Im Mittelpunkt steht der Teich, im Mondlicht eine glänzende Oberfläche, darin spiegelt sich das Leben. Der Teich trennt in eine Ober- und eine Unterwelt, in Bewusstes und Unbewusstes, Vorder- und Hintergründiges. Die glatte Oberfläche des Teiches wie Schein und der darin liegenden Trug, genauso wie Klarheit und die darin liegende Wahrheit.Ein Müller war zu Zeiten der Märchen ein Mann um den man nicht herumkam, der Bauer trug das Korn in seine Mühle, der Ertrag seiner mühsamen Arbeit, darauf erhielt er Säcke, abgefüllt mit Mehl. Die Mehlsäcke wurden gezählt, ihren Preis bestimmte der Markt. Steuerbeamter, Verwalter, Grundbesitzer und Müller, alle bekamen davon einen Anteil. Ausbeutung und Bereicherung, Lohn und Verhältnismäßigkeit nahmen hier ihren Lauf. So kann einer reich werden und "über Nacht" wieder alles verlieren. So wälzt sich ein Müller voller Sorgen im Bett, ein Tiefpunkt seiner Karriere, er weiß sich keinen Rat mehr. In so einer Zeit ist einer empfänglich für jede Hilfe.
Wie der Müller bei Mondlicht zum Teich geht, liegt etwas in der Luft, eine Erregung wie die Wellen auf der Oberfläche des Teiches. Ein Rauschen und die Nixe taucht auf, verführerisch, das lange Haar, ihr weißer Leib im ersten Strahl der Sonne. Sie verspricht Reichtum und möchte sich das eben jung Gewordene im Hause des Müllers sichern. Der Müller ist gefangen in seinen Ängsten und ihren Versprechungen.Er zahlt mit einem Pfand, seinem Sohn in ihrer Hand, was wird sie damit tun?
Woran erkennt man ob ein Geschenk gut oder schlecht gemeint ist? Im Volksmund heißt es, ein gut gemeintes Geschenk muss man nicht bezahlen, wobei ein schlecht gemeintes wohl. Wie hier mit einem Versprechen. Der Müller hat sich täuschen lassen, er wusste doch um das gefährliche Wesen der Nixe, doch Geld und Reichtum verführt.Das ist auch heute so: Die schnelle Abhilfe, Augen zu und durch, ein Kredit mit hohen Zinsen, ein Pfand auf das eigene Haus, eine hohe Staatsverschuldung, es bezahlen die nächsten Generationen, wie im Märchen, "das was eben jung geworden ist".
Das Leben des Sohnes ist überschattet mit diesem Lebenspfand, "eine Hand wird dich in den Teich ziehen" von dem er nie weiß wann es eingelöst wird. Der Sohn meidet den Teich, letztlich verlässt er die Mühle, lernt nicht, wie damals üblich das Handwerk seines Vaters, wird anstatt Jäger, nimmt den Dienst bei einem Dorfherren an, heiratet und führt ein einfaches, sorgenfreies Leben. In dieser ruhigen Zeit entwickelt sich ein starkes Band zwischen den jungen Eheleuten.Dieses Liebesband stellt eine Gefahr und eine Konkurrenz für die Nixe dar, dass diese aktiv wird um ihren Anspruch einzulösen.
Der Einflussbereich der Nixe ist der Teich, wie tief er wohl ist, wohin sein Wasser sickert, wie weit er über die Ufer flutet? Ein wahrlich unheimlicher Ort. Der junge Jäger jagt ein Reh und weiß nicht, dass er selbst der Gejagte ist. Psychologisch gesehen ist der Teich, dieser unheimliche Ort in dem jungen Jäger selbst. Sobald er seinem Triebhaftem folgt wie bei der Jagd auf das Reh, kommt er diesem unheimlichen Ort sehr nahe. Und er hat nicht gelernt mit dem Triebhaften umzugehen, hat er doch immer den Teich gemieden. Er tötet das Reh, möchte es ausweiden, berührt mit den Händen das Blut des Tieres und es erfüllt sich das Blutpfand des Vaters, holt ihn ein, wie eine Flutwelle.Im Märchen wechselt die Erzählperspektive, nun treibt die jungen Frau die Geschichte voran. Sie war bisher wie die Müllerin im Hintergrund. Das Weibliche war ganz vom Bild der Nixe eingenommen. Je mehr die junge Frau ihre Kräfte entwickelt, desto mehr verliert die Nixe ihren Einfluss auf den jungen Jäger. Wieder ist der Teich der Schauplatz. Das Licht des Vollmonds erinnert an die verhängnisvolle Nacht des Versprechens an die Nixe. La Luna, die Mondin, sie steht für das Weibliche. Sie ist ein Zeitmesser, nach ihren Mondphasen richtet sich der weibliche Zyklus, richtet sich auch das Märchen, immer bei Vollmond stellt sich die junge Frau einer neuen Prüfung.
Es ist nicht ihr Flehen und Schreien, nicht ihre Willenskräfte die weiterhelfen, sondern das Abtauchen in den Schlaf und der darin aufsteigende Traum. Darin trifft sie nach langem Fußmarsch auf eine alte Weise, die sie berät.Haben wir in uns selbst so eine mächtige alte Weise, eine Ahnin, die immer einen Platz für uns bereit hält, sich unser Leid anhört und uns weiterhilft?
Wohl war, Sie gibt der jungen Frau nacheinander, einen Kamm, eine Flöte, ein Spinnrad, alles weibliche Attribute, Gegenstände aus dem weiblichen Leben. Mit diesen Gegenständen ist die junge Frau vertraut, sie kämmt ihr Haar, umfasst mit ihren Lippen die kleine Flöte, entlockt ihr ein Lied, spinnt zwischen ihren Händen einen goldenen Faden. Ausdruck von Selbstliebe und Schönheit, Liebe und Erotik. Weibliche Künste, die der Verführungskraft der Nixe nicht nachstehen, und das Begehren der Nixe wecken. Die Nixe lässt sich auf das Pfandgeschäft ein, und lässt sich so mit ihren eigenen Mitteln bezwingen. Bei jedem Vollmond tritt der junge Jäger weiter aus dem Wasser heraus bis er schließlich dem Einflussbereich der Nixe entkommt.Die Befreiung ist geglückt, die Flut hat die beiden zwar erfasst, aber sie sind gewarnt und wandlungsfähig, sie haben gelernt mit den Triebkräften umzugehen und werden nicht mehr in den Teich zurückgezogen. Der Teich der bisher im Zentrum ihrer beider Leben stand, hat seine zentrale Bedeutung verloren. Auseinandergerissen, wandern beide als Schäfer und Schäferin in weiten Weltengegenden.
Nach dem inneren Sturm, werden sie unabhängig voneinander Schäfer und Schäferin. Schafe hüten, voran treiben und wieder sammeln. Die Schafherde, ein Bild für das Sammeln der Gedanken und Nähren der inneren Kräfte. Sie bewegen sich in einem großen Radius, wie sie sich wiederbegegnen, erkennen sie sich erst am Spiel der Flöte. Ein typisches Märchenthema, das Wiedererkennen, ich denke an das allseits bekannte Aschenputtel, der junge König erkennt die Tänzerin der vorangegangenen Abenden nicht wieder. Das Erkennungs- und gleichzeitig das Wahrzeichen ist der Schuh. In anderen Märchen ist es ein Ring und bei "der Nixe im Teich" ist es ein Lied auf der Flöte. Ein Lied spricht direkt das Gefühl an, die Sehnsucht und die Liebesempfindungen.Es ist ein tiefes Erkennen gemeint, das über die wandelbaren Dinge wie Sprache, Umfeld und das Aussehen hinausgehen. Es ist eine tiefere Bestimmung, ein Wiedererkennen, das sogar über mehrere Generationen hinweg erinnert werden kann. Dass Schäfer und Schäferin, Mann und Frau, wieder zusammenfinden ist kein Zufall, sondern es ist eher so wie die Planeten, die eine feste Umlaufbahn haben, und am vorbestimmten Zeitpunkt wieder zusammentreffen.